18.07.2017 -
Wenige Worte des EZB-Chefs reichten, um die Anleihe- und Währungsmärkte in Unruhe zu versetzen. Kommt nun die von vielen erwartete Zinswende? Eine Analyse.
Notenbanker sind mächtige Zeitgenossen. Das Schicksal von Banken, Sparern, Schuldnern, Gläubigern und ganzen Staaten liegt in ihren Händen. Gleiches gilt für den Euro, der nur durch die Tiefzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) zusammen gehalten werden kann.
Die Investoren wissen also, was auf dem Spiel steht, sollten die Notenbanken die Politik des billigen Geldes irgendwann beenden. Schon die kleinste Andeutung kann deshalb zu erheblichen Irritationen an der Börse führen. Das zeigte etwa die Äußerungen von Mario Draghi am 27. Juni. Der EZB-Chef hatte auf einer Konferenz im portugiesischen Sintra gesagt, dass die Geldpolitik beginne, Inflationsdruck zu erzeugen.
In den Medien (und von einigen Investoren) wurden die Aussagen bereits als Ende der lockeren Geldpolitik gedeutet. Die Aktien- und Anleihekurse gerieten daraufhin unter Druck, der Euro legte gegenüber anderen Währungen zum Teil deutlich zu. Mario Draghis Worte wurden von Investoren als Einstieg in den Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik interpretiert. Anleiherenditen zogen merklich an und auch der Euro wertete kräftig auf. Einschränkende Aussagen wurden dagegen weitgehend ignoriert – etwa der Hinweis des EZB-Chefs, dass die Geldpolitik die Wirtschaft weiter unterstützen müsse, weil die Arbeitslosigkeit in der Eurozone in Wahrheit höher sei, als es die offiziellen Statistiken aussagten.
Selbst die Bemühungen einiger Mitglieder des EZB-Direktoriums um eine ausgewogenere Einschätzung der Draghi-Rede konnten die Gemüter nicht beruhigen. Viele Investoren rechnen offenbar mit einer baldigen Zinswende. Dazu passt, dass Marc Carney, Gouverneur der Bank of England, auf derselben Konferenz sagte, die BoE würde ihren Zins anheben, sollte die britische Wirtschaft Fahrt aufnehmen.
Uns erinnert das an den Sommer 2013. Seinerzeit hatte Ben Bernanke, der damalige Präsident der US Federal Reserve (Fed), angekündigt, die Anleihekäufe der US-Notenbank reduzieren zu wollen und damit die Investoren in Panik versetzt. Innerhalb weniger Wochen stiegen die Renditen zehnjähriger US-Staatsanleihen von zwei auf drei Prozent; nicht nur die Anleihekurse fielen damals deutlich, sondern auch Aktien und der Goldpreis. Wir veröffentlichten daraufhin einen Bericht, dass wir die Reaktion der Investoren für übertrieben hielten und der Zinsanstieg nicht nachhaltig sei. Tatsächlich sind die Anleiherenditen in der Folge wieder deutlich gesunken.
Die EZB hatte vor einiger Zeit angekündigt, ihre Anleihekäufe zurück zu fahren. Das ist keine Überraschung, sondern schon deshalb nötig, weil die Notenbank bald die Obergrenzen ihrer Anleihebestände erreicht hat. Das bedeutet aber nicht das Ende der Null- bzw. Tiefzinspolitik – die soll auch dann noch beibehalten werden, wenn die Anleihekäufe bereits eingestellt (voraussichtlich im Laufe des Jahres 2018) sind. Eine Zinswende, die den Namen auch verdient, wird es unseres Erachtens nicht geben.
... die Zinsen in der Eurozone langfristig niedrig bleiben müssen, um hochverschuldete Länder und Unternehmen über Wasser zu halten und den Euro zusammen zu halten.
... der Handlungsspielraum der Fed angesichts der Nullzinspolitik Japans und der EZB begrenzt bleibt.
... die Risiken im Bankensystem steigen, weil den Instituten die Erträge wegbrechen und ihre Bilanzqualität sinkt.
... die Kosten der Euro- und Bankenrettung von den Steuerzahlern und Sparern getragen wird.
Nichtsdestotrotz werden die Investoren jede Regung Mario Draghis auf ihre geldpolitischen Auswirkungen hin abklopfen. Jeder Satz wird auf die Goldwaage gelegt und in Erwartung einer bevorstehenden Zinswende womöglich überinterpretiert werden. An den Börsen dürfte das immer wieder für Nervosität sorgen.
Die EZB steckt in einer schwierigen Situation. Wenn Mario Draghi sein Versprechen, den Euro um jeden Preis zu retten, erfüllen will, muss er die Nullzinspolitik immer weiter fortführen. Anders lassen sich die gewaltigen Staatsschulden in einzelnen Eurostaaten dauerhaft nicht finanzieren. Er muss auch verhindern, dass der Euro aufwertet und die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen aus der Eurozone gefährdet und so deren Währungsgemeinschaft bedroht.
Mario Draghi dürfte das unseres Erachtens bis Oktober 2019, bis zum Ende seiner Amtszeit, durchziehen. Solange dürfte er wohl auch die Zinsen auf oder nahe null halten, um dann die Amtsgeschäfte an seinen Nachfolger zu übergeben. Dabei könnte es sich, welch Treppenwitz der Geschichte, ausgerechnet um seinen größten Kritiker handeln, um Bundesbankpräsident Jens Weidmann. Der müsste dann den Scherbenhaufen zusammenkehren.