06.11.2018 -
Der Arbeitsmarkt boomt und die Staatskasse ist prall gefüllt. Unserem Land geht es gut – aber wie lange noch? Wenn Deutschland eine Aktie wäre, würde Thomas Mayer sie wohl verkaufen.
Herr Mayer, Deutschland sonnt sich im Aufschwung. Wie lange hält der Wirtschaftsboom?
Thomas Mayer: Natürlich haben wir keine Kristallkugel, aber in der Wirtschaft zeichnen sich bereits erste Schwächen ab. In diesem Sommer dürfte die deutsche Wirtschaft sogar geschrumpft sein. Wenn Deutschland eine Aktie wäre, dann würde ich sie wohl verkaufen.
Warum?
Um künftige Verluste zu vermeiden. Auch wenn der Vergleich natürlich etwas hinkt, kann sich der Blick auf die Börse lohnen. Wenn die Wirtschaft wirklich krank ist, geht der Aktienmarkt verlässlich auf Talfahrt.
Wie steht es um den deutschen Aktienmarkt?
Seit Anfang des Jahres ist der Dax um mehr als zehn Prozent gefallen. Sicherlich ist diese Schwäche nicht nur ein deutsches Phänomen, aber sie ist doch ausgeprägter als in manchem anderen Land. Der US-Aktienindex S&P 500 notiert im Plus.
Warum sind deutsche Aktien weniger gefragt?
Nehmen wir mal den Dax. Besonders deutlich waren die Verluste der Großbanken. Die Titel von Deutscher Bank und Commerzbank sind seit Ende 2017 im Schnitt um fast 40 Prozent gefallen. Eine Fortsetzung der unrühmlichen Entwicklung seit der Finanzkrise von 2007/2008. Seitdem haben Bankaktien 86 Prozent verloren. Es scheint, diese ehemals stolze Branche kommt in Deutschland – anders als etwa in den USA – nicht mehr auf die Beine.
Nicht nur Bankaktien mussten Feder lassen.
Auch die Autoindustrie, eine deutsche Vorzeigebranche. Die Aktienkurse von BMW, Daimler, Volkswagen und Continental sind im Verlauf dieses Jahres um mehr als 20 Prozent gefallen.
Aus welchem Grund?
Bis 2015 liefen die Autoaktien noch besser als der Dax. Seither leiden sie unter dem VW-Diesel-Betrug, einer Welle von gerichtlich erzwungenen Fahrverboten für Dieselautos und immer ambitionierteren Abgas-Grenzen für die Motoren. Es scheint, dass eine Schlüsselbranche der deutschen Industrie in die Knie geht.
Gibt es weitere Beispiele?
Selbstverständlich. Etwa die Chemie- und Pharmaindustrie. Die Kurse der Aktien von BASF, Bayer, Beiersdorf und Merck sind im Schnitt im Verlauf dieses Jahres um rund 16 Prozent gefallen. Diese Industrie hat mit immer größeren gesellschaftlichen Vorbehalten zu kämpfen. Die Folge sind Regulierungen. Abwanderung aus Deutschland ist manchmal die einzige Rettung. Auch Energieversorger trifft es hart, seit 2008 haben Aktien von RWE und Eon mehr als 75 Prozent an Wert verloren. Ihr Geschäftsmodell hängt nicht am Markt, sondern an der Politik.
Es scheint, die Deutschland AG erlebt einen Abverkauf. Was sind die Gründe dafür?
Die Schwächen einst kraftstrotzender Firmen haben etwas gemeinsam. Die Probleme sind hausgemacht: Restriktive Regulierungen im Namen des Umweltschutzes und überzogener Sicherheitsanforderungen. Das Versagen von Managern mit Hang zur Selbstüberschätzung.
Wie sieht es in den Zukunftsbranchen aus?
Hier gab es zuletzt Gegenwind von global steigenden Zinsen. Selbst Technologiewerte wie SAP oder Infineon schwächeln, seit Ende vergangenen Jahres haben sie rund 11 Prozent an Wert verloren.
Auf lange Sicht erscheint die Bilanz deutlich besser…
… seit 2008 stiegen die Aktien um gut 260 Prozent. Allerdings können die deutschen Technologieunternehmen mit amerikanischen Unternehmen nicht mithalten. Die sogenannten Faang-Aktien – Facebook, Apple, Amazon, Netflix und Google – liegen dieses Jahr mit noch 25 Prozent im Plus. Seit 2012 haben sie im Schnitt rund 500 Prozent an Wert gewonnen.
Warum ist die Schwäche deutscher Aktien schlecht für Deutschland?
Die meisten Deutschen glauben, am Aktienmarkt seien nur Spekulanten am Werk. Tatsächlich wird dort aber die Zukunft bewertet. Das bedeutet: Für Deutschland sieht die Zukunft ziemlich mau aus.
Herr Mayer, wir danken für das Gespräch.
Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des unabhängigen Flossbach von Storch Research Institute. Die Kommentare von Thomas Mayer finden Sie hier.