02.07.2018 -
Aktionäre sind Eigentümer eines Unternehmens. Sie können Fehlentscheidungen des Vorstandes verhindern. Bei Hauptversammlungen gebärden sich vor allem institutionelle Investoren erstaunlich zahm.
Einmal im Jahr ist es soweit. Die Hauptversammlung. Ein Festtag für kritische Aktionäre. Endlich werden die Eigentümer gefragt! Der Vorstand ihres Unternehmens stellt seine Pläne vor. Es geht um die Verwendung der Gewinne, Aktienrückkäufe, die Vergütung des Vorstandes. Die Aktionäre haben ein Stimmrecht. Sollten ihnen die Pläne nicht gefallen, können sie dagegen stimmen. Bei einer Mehrheit muss der Vorstand dann neu planen. Letztlich geht es in jeder Hauptversammlung auch um seinen Job. Denn die Aktionäre stimmen auch über Entlastung des Vorstandes und Aufsichtsrates ab.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Aktive Aktionäre sind gut für ein Unternehmen. Sie können einen Vorstand zu Höchstleistungen treiben, Fehlentscheidungen oder Manager-Egoismen verhindern und dem Unternehmen zu einem langfristigen Erfolg verhelfen. Aktienkultur. Zumindest in der Theorie.
In der Praxis sieht es etwas anders aus. Das zeigt eine Studie des unabhängigen Flossbach von Storch Research Institute. Die Analysten untersuchten das Abstimmungsverhalten der Aktionäre bei den Hauptversammlungen der Dax-30 Konzerne. Zwar ist die Präsenzquote von im Schnitt 63 Prozent der Aktionäre in den vergangenen Jahren gestiegen. Die Zustimmungsquoten von weit über 90 Prozent erinnern ungeachtet handfester Krisen und Skandale aber eher an „Wahlen“ in sozialistischen oder autokratischen Ländern.
Es ist natürlich erfreulich, wenn fast alle Eigentümer mit der Arbeit von Vorstand und Aufsichtsrat zufrieden sind. Dann gibt es keinerlei Veranlassung, den Gremien die Unterstützung zu vermeiden. Wenn beim Unternehmen allerdings nicht alles rund läuft, dann dürften die Ergebnisse vor allem ein Resultat mangelnder Diskussionskultur auf deutschen Hauptversammlungen sein. Vor allem institutionelle Großinvestoren üben sich auf der Hauptversammlung der im Dax gelisteten Unternehmen oftmals in vornehmer Zurückhaltung. Im Rückblick lagen sie damit nicht immer richtig. In den vergangenen Jahren gab es bei mehreren Dax-Unternehmen handfeste Skandale, die maßgeblich auf die Gewinne und damit letztlich auch auf die Aktienkurse durchschlugen.
Die Europäische Union (EU) nimmt sich nun der Sache an. Im Mai 2017 veröffentlichte die EU-Kommission eine Aktionärsrechterichtlinie und berichtet von konkreten Anhaltspunkten, „dass die derzeitige Überwachung von Gesellschaften, in die investiert wurde, sowie das Engagement von institutionellen Anlegern und Vermögensverwaltern oft (…) unzureichend sind“.
Die Passivität professioneller Investoren, die wohl nicht immer im Interesse ihrer Kunden, den privaten und professionellen Anlegern sein dürfte, hat vielfach wahrscheinlich ganz triviale Ursachen. Große Gesellschaften sind in ihren global ausgerichteten Aktien-Portfolien nicht selten an mehr als tausend Unternehmen beteiligt. Dann scheint es wohl schlicht nicht praktikabel, sich mit der Tagesordnung jedes einzelnen Unternehmens auseinanderzusetzen.
Viele dieser passiven Großinvestoren, darunter auch viele ETF-Anbieter, lassen sich deshalb von professionellen Stimmrechtsberatern vertreten. Der Einfluss dieser Aktionärsberater ist in den vergangenen Jahren merklich gestiegen. Nach eigener Aussage analysieren diese Aktionärsberater jedes einzelne Unternehmen auf Basis individueller Kriterien und entwickeln entsprechende Abstimmungsempfehlungen.
Große internationale Beratungsgesellschaften wie International Shareholder Services (ISS) oder Glass Lewis beraten nach eigenen Angaben etwa 1.700 (ISS) bzw. 1.200 (Glass Lewis) Kunden. Beide Unternehmen kommen gemeinsam auf einen Marktanteil von schätzungsweise über 90 Prozent. ISS verfolgt mehr als 42.000 Aktionärstreffen weltweit, Glass Lewis rund 20.000.
Bei der Arbeit der Stimmrechtsberater sind – zumindest aus unserer Sicht – einige Punkte bemerkenswert. Sie besitzen eine gewaltige Meinungs- und Durchsetzungsmacht, tragen aber – anders als die eigentlichen Stimmrechtsinhaber, die Aktionäre – kein finanzielles Risiko. Zum anderen sind Stimmrechtsberater häufig bei den Unternehmen, welche sie analysieren, gegen Honorar auch in beratender Funktion tätig. Da die EU Interessenkonflikte befürchtet, werden auch die Beratungsgesellschaften von der angesprochenen EU-Aktionärsrechterichtlinie erfasst. So müssen sich die Stimmrechtsberater künftig tiefer in die Karten schauen lassen und unter anderem Methoden, Modelle und Informationsquellen offenlegen. Die methodische Transparenz bei der Urteilsfindung wurde als unzureichend empfunden, so dass die EU-Kommission ihre Anforderungen in der neuen Aktionärsrechterichtlinie deutlich erhöht hat. Die Beratungsgesellschaften ihrerseits verweisen auf die Offenlegung von etwaigen Interessenkonflikten und effektive Selbstregulierungsmaßnahmen.
Ob die Regulierung der EU tatsächlich zu einer besseren Aktienkultur führen kann, bleibt abzuwarten. Es wäre zu begrüßen. Kritische Aktionäre mit einem langfristigen Horizont tragen eine wichtige Verantwortung. Für die Eigentümer wie für das Unternehmen – und in letzter Instanz auch für unsere Volkswirtschaft.
Dr. Kai Lehmann arbeitet als Senior Research Analyst für das unabhängige Flossbach von Storch Research Institute in Köln.
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