06.07.2017 -
Wir befinden uns auf unerforschtem Gebiet. Negativzinsen sind ein Ausdruck von Verrücktheit. Niemals zuvor hat es etwas Derartiges gegeben. Zumindest nicht in den vergangenen 3.000 Jahren. Wie konnte es soweit kommen? Teil zwei der Serie „Robust investieren“.
Es gibt keinerlei Vergleichsmöglichkeiten, keine bekannten Koordinaten, die Orientierung böten. Eine Epoche, in der Gläubiger dafür zahlen mussten, Schuldnern Geld zu leihen ist uns zumindest unbekannt. Viele Geldanleger müssen sich an die Konsequenzen von Null- und Negativzinsen erst noch gewöhnen. Eine Herausforderung.
In einem ist sich die moderne Geschichtsschreibung (weitgehend) einig: Als die Finanzkrise 2008/09 ihren Höhepunkt erreicht und eine neue Weltwirtschaftskrise droht, bleibt den Notenbankern nichts Anderes übrig, als die Kapitalmärkte mit Liquidität zu fluten.
Am offensivsten geht zunächst die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) vor; deren Präsident ist damals Ben Bernanke, ein Wissenschaftler, dessen frühe Forschungsarbeiten sich mit der Großen Depression (Great Depression) in den 1930er-Jahren und ihren Folgen befassten. Eine Weltwirtschaftskrise dieses Ausmaßes will er mit aller Macht verhindern. Die Fed unter Bernanke senkt deshalb radikal den Leitzins und kauft später im großen Stil Anleihen.
Andere Notenbanken tun es ihr gleich, wenn auch mit Verzögerung. Die Bank of England (BoE), die Europäische Zentralbank (EZB), vor allem die Bank of Japan (BoJ). In den Folgejahren überbieten sich die großen Notenbanken mit Leitzinssenkungen, Anleihekäufen, Kreditlinien für angeschlagene Banken und anderen Hilfsprogrammen. Was als Sofortmaßnahmen gegen den damals drohenden Finanzkollaps und Wirtschaftskrise gedacht waren, also eigentlich zeitlich begrenzt sein sollten, wird zur dauerhaften Medizin für die Kapitalmärkte, das Zinsniveau auf historisch niedrigem Niveau zementiert.
Ein gewichtiger Grund dafür sind nicht zuletzt die horrenden Staatsschulden. Nur wenn die Notenbanken in den Markt eingreifen und für niedrige Zinsen sorgen, können auch de facto überschuldete Staaten kreditwürdig bleiben. Die Notenbanken, allen voran die EZB, sind so zu Erfüllungsgehilfen der Politik geworden; ihre Unabhängigkeit, auf die sich Notenbanker so gerne berufen, ist längst verloren.
In den vergangenen Jahrzehnten sind die Staatsschulden stetig gestiegen. In vielen Volkswirtschaften haben sie mittlerweile Rekordniveaus erreicht. In Amerika, Europa oder Asien. Ein globales Phänomen. Trauriger Spitzenreiter sind die Japaner; mittlerweile ist das Land mit mehr als dem zweieinhalbfachen seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) verschuldet. Dass diese gewaltige Hypothek, noch dazu von einer alternden Gesellschaft wie der japanischen, jemals beglichen werden kann, ist kaum vorstellbar. Der Staat braucht deshalb niedrige Zinsen, um seinen gewaltigen Schuldenberg langfristig finanzieren zu können.
Im dritten Teil unserer Serie „Robust investieren“ wird es kommende Woche um die Möglichkeiten der Notenbanken gehen, ihre Geldpolitik wieder zu „normalisieren“.
Alle Teile der Serie, die bislang erschienen sind, finden Sie hier:
Teil 1 - Robust investieren – Eine Anlagestrategie im Zinstief
Teil 2 - Negativzinsen? Hat es noch nie gegeben
Teil 3 - Die Zinsen bleiben niedrig – Sparer müssen darben
Teil 4 - Die Inflation frisst das Ersparte auf
Teil 5 - Drei Regeln für eine bessere Geldanlage
Teil 6 - Ohne Aktien geht es nicht
Teil 7 - Anleihen? Sie müssen nur die richtigen finden!
Teil 8 - Gold - Versicherung für Krisenzeiten