03.11.2016 -
Mit einem Knopfdruck erschaffen die Notenbanken Geld, das sie an den weltweiten Finanzmärkten in Anleihen und zunehmend auch in Aktien investieren. Was bedeutet das für Anleger?
Vorreiter in Sachen finanzielle Repression ist die Bank of Japan (BoJ). Auf ihrer Konferenz am 21. September zementierte sie den Zins für zehnjährige Anleihen bei null Prozent und ist bereit, ein Überschießen der Inflation auf mehr als zwei Prozent zu tolerieren, bevor sie auf die Bremse treten will. Ihre Botschaft lautet im Kern: „Liebe Anleger, ihr bekommt erst dann wieder Zinsen, wenn die Inflation bereits große Löcher in eure Ersparnisse gefressen hat.“ Das offizielle Ziel der japanischen Geldpolitik ist aus unserer Sicht die Entwertung der Ersparnisse, was man auch als eine Art „Bankraub mit umgekehrtem Vorzeichen“ titulieren könnte.
Und was macht die Europäische Zentralbank (EZB)? Sie kündigte an, ihr Anleihekaufprogramm im März 2017 nicht abrupt zu beenden, sondern lediglich im Falle steigender Inflation zu reduzieren. In den USA ließ die Federal Reserve (Fed) Anfang November alles beim Alten. Ob die Fed nicht so kann, wie sie will oder nicht so will, wie sie kann, sei dahingestellt. Es scheint, als hätte Fed-Chefin Janet Yellen das Ruder längst den Finanzmärkten überlassen. Die Glaubwürdigkeit der mächtigsten Notenbank der Welt schwindet von Sitzung zu Sitzung.
Weltweit rentieren heute Anleihen im Volumen von mehr als 1,5 Billionen Euro im negativen Bereich. Institutionelle Investoren wie Pensionskassen und Versicherungen, aber auch einfache Sparer, werden so ihrer zukünftigen Erträge „beraubt“. Wer spart, verliert.
Negative Zinsen sind ein Ausdruck von Verrücktheit. Sie stellen die Zeitpräferenz (lieber das Geld heute als morgen) und damit eines der wichtigsten ökonomischen Postulate auf den Kopf. Sie widersprechen auch dem gesunden Menschenverstand und den Usancen des täglichen Geld- und Geschäftsverkehrs. Unternehmen mit hohen Barmittelbeständen sind bemüht, ihre Steuern beim Staat so schnell wie möglich zu begleichen, um sie dem drohenden Schwund durch Negativzinsen zu entziehen.
Negative Zinsen sind ein Novum in der Menschheitsgeschichte. Seit es schriftliche Überlieferungen gibt – also seit rund 5.000 Jahren – war der Zins niemals negativ. Selbst in den ersten 1.800 Jahren unserer Zeitrechnung, in der das Wirtschaftswachstum nach Berechnungen des britischen Wirtschaftshistorikers Angus Maddison nur rund 0,1 Prozent pro Jahr betragen hat, lag der Zins immer deutlich über der Nullprozentmarke.
Die aggressive Geldpolitik der Notenbanken scheint für Anleger auf den ersten Blick widersinnig. Tatsächlich hat sie aber Gründe und erscheint demjenigen, der die Selbstsicht der Zentralbanker kennt, beinahe folgerichtig. Denn in den vergangenen Jahren hat sich das selbstdefinierte Aufgabenspektrum der Notenbanken zunehmend erweitert. Sie verstehen sich unseres Erachtens nicht mehr primär als Hüter der Geldwertstabilität, sondern zunehmend als zentrales Steuerungsorgan für Wirtschaft (Wohlstand) und Finanzmärkte (Stabilität).
Eine wirtschaftspolitisch ausgerichtete Notenbank wie beispielsweise die Fed verfolgt das Ziel, die Wirtschaft von der Unterbeschäftigung zur Vollbeschäftigung zu bewegen. Dabei agiert sie als zentraler Planer, der versucht, Unternehmen und Privathaushalte durch eine stimulierende Geldpolitik (beispielsweise mit einer Senkung des Leitzinses) zu mehr Kreditaufnahme für Investitionen und Konsum zu bewegen und die Banken zu entsprechender Kreditvergabe zu ermutigen. Dies ist nicht nur ein äußerst komplexes Unterfangen, sondern führt regelmäßig auch zu einem Zielkonflikt mit dem Postulat der Geldwertstabilität. Wirtschaftspolitische Notenbanken haben den Anspruch, die Konjunktur steuern zu können und geben ein Inflationsziel vor. Eine Abweichung davon wird nicht geduldet und der Maßnahmenkatalog diesem Ziel angepasst.
Noch ein Schritt weiter ist die finanzmarktorientierte Notenbank. Sie möchte nicht nur Konjunktur und Arbeitsmarkt steuern, sondern auch die Märkte. Sie erliegt anscheinend der naiven Vorstellung, die Kurse von Aktien, Anleihen und Rohstoffe etc. würden den Zustand der Wirtschaft stets richtig widerspiegeln und der Notenbank damit verlässliche Daten für ihre Zentralsteuerung geben. So begeben sich diese Notenbanken in eine gefährliche Abhängigkeit von den Finanzmärkten. Das zeigte sich zuletzt bei der Bank of England (BoE). Nach Turbulenzen an den Devisen-, Aktien- und Anleihemärkten kündigte sie eine Leitzinssenkung auf 0,25 Prozent und die Wiederaufnahme des Kaufprogramms für Staats- und Unternehmensanleihen an.
So entsteht ein gefährliches Beziehungsgeflecht. Einerseits sind die Finanzmärkte in einem nie dagewesenen Ausmaß von den Notenbanken abhängig geworden, was wiederum deren Handlungsspielräume drastisch einschränkt. Andererseits können die Zentralbanken praktisch nur noch das tun, was die Finanzmärkte von ihnen erwarten, ansonsten droht ein Kollaps. Erschwerend kommt hinzu, dass die Preise an den Finanzmärkten stark verzerrt sind, was es den finanzmarktabhängigen Notenbanken nahezu unmöglich macht, den Erfolg ihrer Bestrebungen zu messen. Die daraus resultierende wechselseitige Abhängigkeit führt zu einem Teufelskreis, der das zögerliche Verhalten der Fed erklärt.
Obwohl das Vertrauen in die Notenbanken schwindet, setzen diese ihren Weg unbeirrt fort. Dabei haben sie eine Erwartungshaltung bei den Investoren kreiert, die zu „Moral Hazard*“, also Fehlanreizen, führt. Im Vertrauen auf die Notenbanken hat sich eine globale Spekulationsmentalität entwickelt, die in jeder Krisensituation fest auf geldpolitischen Beistand baut. Es wird erwartet, dass die Notenbanken mit dem immer gleichen pawlowschen Reflex einer möglichst lockeren Geldpolitik auf Unsicherheit reagieren.
Für mögliche Erschütterungen an den Märkten können in den nächsten Wochen und Monaten aus unserer Sicht etwa die US-Präsidentschaftswahl, das Italien-Referendum oder eine mögliche Krise der italienischen Banken sorgen, die auch Institute in anderen europäischen Ländern in die Bredouille bringen kann. Es gibt aus unserer Sicht also viele gute Gründe, das Portfolio robust aufzustellen.