08.09.2017 -
Es gibt unzählige Börsenweisheiten, die Anlegern versuchen vorzuschreiben, was sie zu tun haben oder besser lassen sollten. Ein gewichtiges Risiko haben sie jedoch meist nicht zum Thema. Höchste Zeit, das zu ändern.
Es gibt einen Fehler, den Anleger unseres Erachtens allzu bereitwillig begehen. Nicht nur die Privatanleger, sondern auch die Profiinvestoren und all die computerbasierten Anlagestrategien, die von den Anlageprofis und/oder Wissenschaftlern gefüttert werden. Viele, die sich mit dem Thema Geldanlage beschäftigen, glauben, die Vergangenheit tauge stets als Blaupause für die Zukunft. Problematischer noch: Sie schreiben Daten von gestern einfach fort. Das ist bequem, vermittelt ein wohliges Gefühl von Sicherheit – im Grunde ist das nachvollziehbar. Wenn Bundesanleihen in den vergangenen Jahren einen Ertrag von vier Prozent pro Jahr erwirtschaftet haben, dann wird das auch in den kommenden Jahren gewiss so sein. Sie stabilisieren ein Portfolio bei überschaubaren Risiken. Punkt.
Wer so denkt, könnte künftig aber ein Problem bekommen.
Denn die wahrscheinlich wichtigste Entscheidung, die ein Anleger treffen muss, betrifft die „Asset Allocation“: Wie teile ich mein Vermögen auf verschiedene Anlageklassen auf? Zu welchen Anteilen soll zum Beispiel in Anleihen oder Aktien investiert werden? Diese Einschätzung ist gar nicht einfach. Zumal es eine „optimale“ Asset Allocation nicht gibt – eben weil die Geschichtsbücher nur bedingt Rückschlüsse liefern auf das, was da kommen mag. Niemals war es so wichtig, sich das bewusst zu machen wie in diesen Tagen.
Renditen und Risiken verschiedener Anlagen können heute völlig anders sein als früher. Am deutlichsten zeigt sich das beim Blick auf die Anleihenmärkte: Niemals in den vergangenen 5.000 Jahren waren die Zinsen so tief wie heute. Mario Draghi, der Chef der Europäischen Zentralbank und maßgeblich verantwortlich für die Nullzinspolitik, hat ebendiese als „Neuland“ beschrieben, das man betreten habe.
Das Zinsniveau hat ganz direkt Auswirkungen auf das Ertragspotenzial von Anleihen. Eine langlaufende Bundesanleihe, vor einigen Jahren gekauft, wäre ein sehr gutes Investment gewesen. Weil die Renditen gefallen sind, sind die Kurse gestiegen. Betrachtet man die erfreuliche Kursentwicklung, könnte man heute zu dem Ergebnis kommen, dass Bundesanleihen hohe Renditen bei niedrigem Risiko bringen – und deshalb einen nennenswerten Anteil am Portfolio ausmachen sollten. Soweit die auf den historischen Daten beruhende Theorie. Die Welt hat sich aber verändert: Die Chancen von Anleihen sind gesunken, die Risiken im besten Fall unverändert. Damit hat auch die Diversifikationsfunktion von Anleihen gelitten.
Wer heute ein Portfolio zusammenstellt, muss unseres Erachtens deshalb zwingend das aktuelle Umfeld berücksichtigen: Die Geldmarktzinsen sind negativ, kurzlaufende Bundesanleihen haben ebenfalls eine Rendite deutlich unterhalb des Nulllinie. „Sicherheit“ wird also mit einem garantierten nominalen und realen Vermögensverlust erkauft. Wer auf weitere Kursgewinne hofft, muss davon ausgehen, dass der Zins auch für länger laufende Anleihen deutlich in den negativen Bereich fallen kann. Mag sein, dass er damit richtig liegt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Anleihekurse fallen (und die Renditen steigen) ist nahe der Nulllinie unseres Erachtens aber größer als umgekehrt.
Um bei der Asset Allocation nicht den Fehler zu machen, aus der Vergangenheit die Zukunft abzuleiten, haben Anleger grundsätzlich zwei Möglichkeiten, mit dem veränderten Zinsumfeld umzugehen: Entweder sie erhöhen den „risikoreicheren“ Anteil ihres Depots (zum Beispiel Aktien) zu Lasten der vermeintlich sicheren Anleihen und erhöhen ihre Kasse- oder Liquiditätsposition. Oder sie gehen bei der Auswahl der Anleihen sehr viel aktiver und opportunistischer vor als in der Vergangenheit und arbeiten an einem vollständigen Verständnis von Chancen und Risiken – auch ihrer Anleiheinvestments.
So oder so: Als „risikoarme Ertragsbringer“ taugen Anleihen in der neuen Welt (bis auf weiteres) nicht mehr.